Wir haben ihn anlässlich des Jubiläums seines Raumfluges in seiner Wahlheimat Strausberg bei Berlin besucht, um mit ihm über Gott und Religionsunterricht, alte Utopien und die Verheißungen von Wissenschaft und Technologie zu sprechen. Als Thema des Wissenschaftsjahres 2015 wünscht er sich „Wissenschaft für den Frieden“.
Herr Dr. Jähn, welche Bezeichnung ist die bessere: Kosmonaut oder Astronaut?
Es gibt das schöne deutsche Wort Raumfahrer. Das wäre eigentlich legitim. In der DDR wurden Raumfahrer nach russischem Vorbild als Kosmonaut geführt, im Westen nach amerikanischem als Astronaut. An sich ist es das gleiche, aber ich würde behaupten, dass Kosmonaut die glücklichere Wahl ist: Man fliegt in den Weltraum; in den Kosmos, aber noch lange nicht zu den Sternen. Der nächste Stern ist immerhin noch mehr als vier Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt.
Hat Sie während Ihres Raumfluges mal der Gedanke beschäftigt, aufgrund eines technischen Defekts nicht mehr zu Erde zurückkehren zu können?
Das hat mich nie beschäftigt. Ich war ja Jagdflieger und wenn ich mit Angst in ein Flugzeug eingestiegen wäre, hätte ich gleich aufhören können. Für den Raumflug ist das wohl ebenso. Angst ist da nicht förderlich, sie hemmt. Damit muss man sich nicht beschäftigen. Es gibt aber auch Mittel, Angst zu überwinden und ihr Herr zu werden. Zum Beispiel in dem man sich sagt: Ich habe alles ordentlich gelernt, ich vertraue der Technik. Ich sage aber noch einmal: Wenn man der Meinung ist, dass etwas sowieso nicht geht oder das Leben kosten könnte, dann sollte man das gar nicht erst machen. Außerdem wird man bei einem Raumflug durch den Blick auf die Erde reich belohnt.
Einmal ins All und zurück Die Mission Sojus-31 startete mit Jähn und seinem Kommandanten Waleri Bukowski am 26. August 1978 um 14 Uhr 51 im Kosmodrom Baikonur und dockte zwei Tage später an der Station Saljut 6 an. Als Maskottchen hatte Jähn das Ost-Sandmännchen mitgenommen. Während seiner mehr als sieben Tage im All umrundete er 125 Mal die Erde und landete mit der Kapsel Sojus-29 am 3. September 1978 in der kasachischen Steppe, 140 Kilometer östlich der Stadt Scheskasgan. Nach der Rückkehr auf die Erde kam er am 21. September auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld an und wurde mit Jubel empfangen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen. Die Kosten für die Teilnahme des Raumfahrers Jähn an der Mission werden mit 82 Millionen Mark (Ost) beziffert. Die Landekapsel befindet sich heute im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden.
Sieht denn die Erde von außen tatsächlich so aus wie auf den Fotos, so blau?
Ja, man sieht das wunderschöne Blau auch auf Fotos aus dem Weltraum. Dieses, man kann schon sagen himmlische Blau des Himmels, entsteht durch die Zusammensetzung unserer Atmosphäre. Frappierend für den Raumfahrer ist der fast schroffe Übergang vom blauen Horizont zum schwarzen All. Man sieht allerdings die Erde noch nicht in ihrer ganzen Kugelgestalt. Dazu müsste man noch weiter weg. Aber den schroffen Übergang von der Erdatmosphäre zur Schwärze des Alls, von dem sich die gleißende Sonne abhebt, vergisst man nie.
Sie sind der erste deutsche Raumfahrer. Als ein „Held der DDR“ oder als „Held der Sowjetunion“ haben Sie sich aber nie wirklich gesehen. Es heißt, der Rummel sei Ihnen sogar peinlich gewesen. Warum?
Weil er stark überzogen war. Man wird ja nicht von heute auf morgen zum Helden, nur weil man das Glück hatte einen Raumflug erleben zu können. Auf der anderen Seite habe ich schon eingesehen, dass so eine „Figur“ auch genutzt wird. Da muss man unterscheiden: Bist du die Figur oder bist du der, der Du vorher warst? Ich bin eigentlich ganz gut damit gefahren, der zu bleiben, der ich war.
Der bleiben, der Sie vorher waren – Hat es Sie denn verändert, dass Sie da draußen im All gewesen sind?
Es verändert einen schon; die Erde in ihrer Schönheit aus dem Weltraum zu sehen ist ja wie ein Privileg. Andererseits war ich ja immerhin schon 41 Jahre alt und sagte mir: Du bleibst wie Du bist. Zugleich stellt man sich aber auch grundsätzliche Fragen. Da oben sieht man keine Grenzen und weiß doch, dass sich die Menschen auf der Erde gegenseitig beharken – schon seit Millionen von Jahren. Und man fragt sich, warum sich die Menschen nicht vertragen.
Was halten Sie denn von Plänen wie denen zum Weltraumtourismus? Das würde mehr Menschen erlauben, die Erde aus einer anderen Perspektive zu sehen und sich vielleicht ähnliche Fragen zu stellen.
Naja, das wären dann Menschen die – ich sage mal so – das entsprechende Kleingeld haben. Ob das nun gerade die Gruppe ist, die den Frieden auf der Erde sicherer macht und für eine gerechtere Verteilung des Reichtums unseres Planeten eintritt, weiß ich nicht. Außerdem ist es der Sauberkeit der Atmosphäre nicht dienlich, wenn die Zahl der Flüge in die Atmosphäre und darüber hinaus unbegrenzt zunimmt.
Sigmund Jähn bei Experimentvorbereitungen für die MKF-6, der Multispektralkamera von Carl-Zeiss-Jena. | Foto: Sigmund Jähn
Sind Sie ein politischer Mensch?
Natürlich macht man sich mit zunehmendem Alter auch mehr Gedanken über das eigene Tun und die Vorgänge in der Politik. In diesem Sinne bin ich auch ein politischer Mensch. Mit dem Alter wird man aber auch weniger revolutionär. Ich höre oft: Politiker machen sowieso was sie wollen. Diese Aussage kann man aber auch umdrehen. Wenn ich heute höre, dass sich viele Staaten Geld borgen müssen, dann frage ich mich: Wo kommt denn das Geld her, das sich die Staaten borgen müssen? Sind da irgendwo reiche Leute, die so viel Geld haben, dass sie Länder mit Milliarden ausstatten können und keinerlei politischen Einfluss ausüben?
In der Süddeutschen Zeitung hieß es vor einiger Weile, dass Ihr Leben das eines „Bilderbuch-Kommunisten“ gewesen sei. Wie finden Sie solche Bezeichnungen?
Den Begriff „Bilderbuch-Kommunist“ kann ich nicht deuten. Ansonsten gehöre ich zu der Generation, die den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen mit Vertreibung und Not noch erlebt hat. In diesem Sinne habe ich mich der Friedenspolitik der DDR nicht verschlossen. Ich habe in einer deutschen Armee gedient, die zu unserem Glück nicht in Kriege hineingezogen wurde.
Das Thema des vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Wissenschaftsjahres hieß im vergangenen Jahr „Zukunftsprojekt Erde“, in diesem Jahr heißt es „Die Demografische Chance“ und im nächsten Jahr soll es „Die digitale Gesellschaft sein“. Für welches Thema im Wissenschaftsjahr 2015 würden Sie sich denn begeistern können?
Ich fände es gut, wenn man sich mit den Zusammenhängen von Gesellschaft und Frieden intensiv befassen würde. Das Thema könnte „Wissenschaft für den Frieden“ oder so ähnlich lauten. Im Interesse unserer Kinder und Enkel sollte es schon interessant sein zu erforschen, warum auf der Erde – dem Haus, in dem auch künftige Generationen leben müssen – kein Frieden einkehren will.
Das Thema Frieden beschäftigt Sie wirklich sehr.
Ja, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es völlig belanglos ist, welcher Nationalität jemand angehört. Die Menschen können sich untereinander verstehen und für gemeinsame Ziele arbeiten. Also woher kommt dann der Zwist, woher kommen die Kriege? Sind sie nicht auch von Menschen gemacht? Geht es um Reichtum oder Macht? Es heißt zwar immer, das liegt im Inneren des Menschen. Aber ich glaube das nicht, weil sich ja doch schon vieles verändert hat. Es gab Zeiten, wo ein Mensch das Recht hatte, seinen Sklaven umzubringen. Da sind wir schon ein Stück weiter und das gibt mir eigentlich Anlass für Hoffnung.
Würden Sie sagen, dass Bildung hier der Schlüssel ist?
Ja, sicher. Aber Bildung kann auch in die falsche Richtung gelenkt und missbraucht werden.
Was denken Sie denn über den Religionsunterricht an unseren Schulen?
Wenn unser Staat säkular ist, dürfte er eigentlich keinen Religionsunterricht an den Schulen propagieren. Leider liegt die Zeit der Aufklärung heute schon lange zurück und hier hat sich nicht viel bewegt.
Empfinden Sie das so? Heute haben wir doch neue Informationstechnologien wie etwa das Internet, die dabei helfen, Informationen zugänglich zu machen und sich oder andere aufzuklären. Theoretisch könnten wir die am besten informierte Gesellschaft aller Zeiten sein.
Auch Informationen sind oft zielgerichtet und nicht wertneutral. In Europa ist die Lage derzeit nicht ganz so dramatisch, aber anders wird es schon, wenn ich an den arabischen Raum denke: Da schnallen sich beispielsweise Menschen Sprengstoffgürtel um und sprengen andere und sich selbst in die Luft, weil sie so „informiert“ wurden, dass sie dafür im Himmel mit mehreren Geliebten belobigt werden.
Und wie stehen Sie persönlich zum Glauben an den Himmel?
Ich habe diese Frage in der 8. Klasse geklärt, als ich traditionsgemäß noch in den Konfirmationsunterricht ging. Zugleich hörte ich dem Biologie-Lehrer sehr aufmerksam zu, der von Darwins Evolutionstheorie sprach. Dann beschäftigte ich mich mit dem Problem, was denn nun richtig sei. Was der Biologielehrer erzählte, das war sehr eindeutig und überzeugend.
Aus der Kirche ausgetreten bin ich, als ich 18 Jahre alt wurde. Ich habe sogar noch meinen Großvater befragt, denn das Problem hat mich schon bewegt: Glauben oder nicht glauben? Mein Großvater war ein einfacher, aber lebenserfahrener älterer Herr. Ich fragte ihn: Großvater, was glaubst du denn nun eigentlich? Da sagte er in seinem Dialekt: Ich glaub, dass a gute fette Henn‘ a schmackhafte Supp gibt. Wer glaubt, muss nichts wissen.
„Das wissenschaftliche Weltbild ist eine echte Basis für weitere Erkenntnisse“. | Foto: T. Hummitzsch
Eine sehr pragmatische Haltung hatte ihr Großvater da. War es schwierig damals, aus der Kirche auszutreten?
Nein. Ich bin ja Offizier geworden und da war das stark erwünscht, es wurde sogar erwartet.
Mittlerweile erzählen ja auch Biologielehrer andere Dinge als die, die man weiß. Sogar in Berlin gibt es wieder Schulen, in der die Erklärung der Evolutionstheorie nur als eine mögliche Erklärung neben den biblischen Darstellungen gelehrt wird.
Das empfinde ich als ein Rückschritt. Wenn man die Entwicklung wissenschaftlich betrachtet, passt der liebe Gott mit der Geschichte von Adam und Eva da nirgendwo hin. Das heutige wissenschaftliche Weltbild wird sich sicherlich auch noch erweitern, aber es ist auf jeden Fall eine echte Basis für weitere Erkenntnisse.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass trotzdem so viele Menschen an einen Gott glauben?
Ich habe in meiner Heimat im Vogtland einen guten Bekannten, der nach der Wende plötzlich wieder in die Kirche ging. Wir haben uns darüber unterhalten und er fragte mich, warum ich mich denn nicht verändert hätte. Warum sollte ich denn, frage ich. Seine Frage dann: Glaubst du denn wirklich, dass nach dem Tod wirklich nichts mehr kommt? Ich glaube es nicht.
Sie sagten vor einigen Jahren mal: „Der Mensch ist weit fortgeschritten. Er kann Raumstationen bauen, sie im Weltall zusammenkoppeln und denkt an die Landung auf dem Mars. Aber seine ethisch-moralische Entwicklung scheint seit der Steinzeit zu stagnieren.“ Was haben Sie damit gemeint?
Das war darauf bezogen, dass wir uns immer noch gegenseitig umbringen. Ich möchte mich da gar nicht ausschließen. Denn als junger Mensch hat man nicht immer gleich die Einstellung: Du musst jetzt erst einmal klären, wo du hingehörst, bevor du einen Beruf erlernst. Als Jagdflieger und Offizier bei der Volksarmee hatte ich auch eine Waffe in der Hand. Zum Glück habe ich sie nicht einsetzen müssen. Wir haben unseren Dienst als Beitrag zur Erhaltung des Friedens verstanden. Heute sage ich: Zum Glück ist in Deutschland nichts passiert. Das wäre sonst die schlimmste Katastrophe geworden, die unser deutsches Vaterland mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überlebt hätte.
Vom Buchdrucker zum Raumfahrer Geboren wurde Sigmund Jähn am 13. Februar 1937 im Vogtland (Morgenröthe-Rautenkranz, Sachsen). Nach dem Besuch der Volksschule schloss er 1954 eine dreijährige Buchdruckerlehre ab. Im April 1956 trat er seinen Wehrdienst bei der VP-Luft, dem Vorgänger der DDR-Luftstreitkräfte, an und wurde nach der Grundausbildung Offiziersschüler. 1965 holte er sein Abitur nach. Als Offizier absolvierte Jähn an der Militärakademie „J. A. Gagarin“ in Sankt Petersburg ein Studium, das er als Diplom-Militärwissenschaftler beendete. Nach dem Vorschlag der Sowjetunion, Kosmonautenkandidaten aus den sogenannten Interkosmos-Ländern für ein neues Raumfahrtprogramm heranzuziehen, ging Jähn gemeinsam mit seinem Offizierskollegen Eberhard Köllner (Ersatzmann) aus einer Auswahl von 30 Kandidaten hervor. Unter absoluter Geheimhaltung zogen sie mit ihrem Familien zum Jahreswechsel 1976/77 nach Swjosdny Gorodok („Sternenstädtchen“) bei Moskau um, wo sie ihre Ausbildung zum Raumfahrer absolvierten.
Am Anfang sagten Sie, dass aus dem Weltraum die Grenzen auf der Erde nicht mehr zu sehen waren. Hat sich da auch Ihr Blick auf den Kampf der damaligen Systeme etwas verändert?
Naja, ich hatte zunächst keine Kontakte zu Ausländern im Westen. Aber bereits 1985, als Gorbatschow an die Macht kam, gab es grünes Licht für eine Organisation, die als Association of Space Explorers, also als Vereinigung von Raumfahren gegründet wurde. Die gibt es noch heute. Ich war eingeladen zur Gründungsversammlung, die bei Paris stattfand, und wurde Mitglied des ersten Exekutivkomitees unserer Organisation. Die Begegnungen mit den US-amerikanischen Astronauten wurden für mich zu einem ein Aha-Erlebnis. Denn die Amerikaner haben genauso gedacht wie wir. Jeder von uns wollte, dass unsere Kinder und Enkel möglichst nicht miteinander in Konflikt geraten und man auf dieser Welt endlich zu einer besseren, menschlicheren Gesellschaft käme.
Sie sagten außerdem einmal, dass die Raumfahrt ein Vorbild für die Kooperation zwischen den Menschen bietet und dass sie die Menschen zusammenbringen kann. Wie sehen Sie das heute?
Die Raumfahrt sollte dieses Vorbild sein, ja. Ich hatte auch erwartet, dass sich da mehr tut. Denn es liegt auf der Hand: Man überfliegt viele Länder in einer kurzen Zeit und da macht man sich schon Gedanken, besonders wenn man einem bewusst wird, dass in diesem oder jenem Land gerade ein Krieg herrscht. Und die, die sich die Schädel wirklich einschlagen, sind ja nicht am Krieg schuld. Schuld sind meistens andere.
In diesem Sinne hat die bemannte Raumfahrt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig bewirkt. Die Menschen, die heute zur Internationalen Raumstation fliegen, sind ja nicht nur Amerikaner und Russen. Das sind Japaner, das sind Deutsche, Vertreter von mehr als 30 Nationen waren bereits im Weltraum – und diese Menschen vertragen sich dort miteinander ohne Probleme. Und das gibt es nicht nur in der Raumfahrt, denn auf vielen Gebieten arbeiten Menschen verschiedener Nationen so zusammen. Das Problem beginnt immer dort, wo es um Macht und Geld geht. Und davon sind wir bis heute nicht weggekommen.
Jähn beim täglichen Pflichtprogramm: Im Bordtagebuch wird alles aufgezeichnet und dokumentiert. | Foto: DLR
Wie sind Sie dann nach der deutschen Wiedervereinigung von Ihren Raumfahrer-Kollegen aus dem anderem System empfangen worden?
Die alte Bundesrepublik führte zu Ende der 1980er Jahre Verhandlungen über einen bemannten Raumflug mit der Sowjetunion. Ich wurde in diesem Zusammenhang offiziell nach Köln zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt eingeladen. Es gab ja niemanden, der in diesem Bereich Kontakte mit sowjetischen Organisationen hatte. Ich bin also nach Köln gefahren und habe über meine Erfahrungen berichtet. Ich glaube schon, dass wir uns da gut kennengelernt haben. Als dann die DDR zusammenbrach, war ich praktisch arbeitslos. Die genannten Verhandlungen gingen positiv aus und mir wurde vorgeschlagen, das Projekt im russischen Kosmonauten-Ausbildungszentrum bei Moskau zu unterstützen. Mitte 1989, als ich noch Offizier war, bin ich dann mit den Kandidaten nach Moskau gefahren und habe sie, und später auch die Raumfahrer der Europäischen Weltraumagentur, jahrelang unterstützt. Erst 2005 bin ich endgültig in den Ruhestand gegangen. Diese Tätigkeit im Interesse der bemannten Raumfahrt möchte ich nicht missen. Auch nicht die dabei gewonnenen Freundschaften.
Leben nach dem Ende der DDR Nach der deutschen Wiedervereinigung erhielt er einen Beratervertrag beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), später arbeitete er die europäische Raumfahrtagentur ESA. Er betreute insgesamt vier gesamtdeutsche Raumfahrer. Sigmund Jähn ist unter anderem Ehrenbürger der Stadt Berlin, ein Bild von ihm hängt in der Ehrengalerie des Abgeordnetenhauses von Berlin. Der 1998 entdeckte Asteroid 1998 BF 14 trägt seinen Namen. Er lebt mit seiner Frau in Strausberg und hat zwei Töchter sowie sieben Enkel.
Das ISS-Projekt wird nicht mehr allzu viele Jahre laufen, derzeit ist der Betrieb bis zum Jahr 2020 vereinbart. Nachfolgeprojekte sind unklar. Als wir jung waren, haben wir geglaubt, bis heute würden die Menschen schon auf Raumstationen oder auf dem Mond leben.
Als die Internationale Raumstation 1998 Realität wurde, habe ich ebenfalls gedacht, dass die nächsten großen Projekte wie zum Beispiel der Flug zum Mars eine Expedition der Menschen der ganzen Erde wird; dass also US-Amerikaner, Russen, Chinesen und Europäer dieses Projekt gemeinsam in Angriff nehmen. Das wäre ja logisch und ist auch von verschiedenen Seiten so beschrieben worden. Die ISS beweist, dass es gemeinsam geht.
Doch wenn man aufmerksam liest, heißt es heute wieder: Das Projekt Flug zum Mars kann auch eine Nation allein stemmen. Die Amerikaner sagen: Wir waren die ersten auf dem Mond, wir werden auch die ersten auf dem Mars sein. Das ist aus meiner Sicht nicht progressiv, aber der Stand der Dinge in der Welt auf diesem Gebiet.
Hier geht es um Prestige. Sicher würde man feststellen, dass nationalistisches Denken auch in diesen modernen Gesellschaften viel stärker verbreitet ist als unter Raumfahrern. Fehlt uns heute so eine gemeinsame Utopie, dass es eine Gemeinschaft der Welt geben kann?
Ja, klar. Und ich sagte ja schon, dass es irgendetwas über den Regierungen geben muss, die da offenbar entscheidenden Einfluss nehmen. Ich glaube, man könnte so etwas organisieren und die Menschen wären nicht dagegen, wenn die Regierungen beschließen würden: Wir hören auf mit der Waffenproduktion, wir versuchen es mal ohne.
Die einfachen Menschen würden sich darüber nicht beschweren. Doch das ist – um es mal mit Worten zu sagen, die ich früher gelernt habe – ein Problem der kapitalistischen Gesellschaft, die eben vom Profit lebt. Die treibende Kraft ist das Streben nach Profit.
Glauben Sie daran, dass das irgendwann einmal überwunden werden kann?
Ich hatte den Glauben auf jeden Fall einmal gehabt, doch mit den Jahren wird man ein bisschen pessimistischer. Heute weiß ich nicht mehr so recht. Manche argumentieren ja regelrecht dahingehend, dass das Leben so aufgebaut wäre: Der eine frisst den anderen. Auch wenn es immer mal wieder humanistische Gedanken gegeben hat.
Buzz Aldrin, einer Ihrer amerikanischen Raumfahrer-Kollegen, plädierte vor einem Jahr in der Zeitschrift MIT Technology Review für die Besiedlung des Welltraums. Aldrin meinte, es sei die einzige Chance für die Menschheit, langfristig zu überleben. Teilen Sie seine Meinung?
Ich neige eher dazu, zu sagen, dass der Mensch die Spitze einer evolutionären Entwicklung des Lebens auf der Erde ist. Man muss sich nur vorstellen wie eng begrenzt unsere Möglichkeiten sind, in denen wir leben. Schon ab 5.000 bis 6.000 Meter Höhe ist auf der Erde die Grenze des Lebens ohne technische Hilfsmittel erreicht. Wir sind auch an einen relativ engen Lebensbereich Bereich bei Temperaturen, Atemluft usw. gebunden. Wenn da nun jemand sagt, wir sollen auswandern nach dem wir die Erde kaputt gemacht haben – so scheint das ja gedacht – bin ich skeptisch. Die Schönheit der irdischen Natur einzutauschen für eine technische Welt „unter einem Glasdach“ halte ich nicht für wünschenswert.
Ich glaube, es ging bei Buzz Aldrin auch ein bisschen mehr in die Richtung sicherzustellen, dass es menschliche Populationen außerhalb der Erde gibt. Denn es könnte auch der – nicht sehr wahrscheinliche, aber auch nicht unmögliche – Fall eintreten, dass einmal wieder ein großer Asteroid auf der Erde einschlägt. Wir haben ja bisher nur diesen einen, ziemlich verletzlichen Planeten als Lebensraum.
In unserem Planetensystem gibt es da keine Chance für ein Leben unter normalen irdischen Bedingungen. Auf dem Mars herrschen andere Bedingungen, auf der Venus mit 500 Grad Temperatur sowieso. Also müssten wir weiter denken, an einen Planeten der irgendwo einen anderen Stern umkreist. Allerdings ist der nächste Stern mehr als 4 Lichtjahre von uns entfernt
Und wenn Sie davon sprechen, dass Asteroiden unseren Lebensraum zerstören könnten: Das ist ein aktuelles Thema. Es gibt ja bereits Forschungen in der Richtung, wie sich Asteroiden ablenken lassen damit sie die Erde nicht treffen. Das halte ich auch für ein gutes Ziel, denn ich habe das Territorium des Einschlages eines kleinen Himmelskörpers von 1906 im Gebiet der Tunguska in Sibirien gesehen. Und ich kann sagen, es war schon eine Glückssache für die Menschen, dass da nicht mehr passiert ist und der kleine Himmelskörper über einer fast unbewohnten Gegend heruntergekommen ist.
In der Richtung hat die Forschung und auch die bemannte Raumfahrt sichere Perspektiven, darüber denken auch die Amerikaner verstärkt nach. Vor dem Flug zum Mars will man erst einmal einen Asteroiden anfliegen und nach Möglichkeit auch auf ihm landen.
Irgendwann sollten die Menschen einmal humanistisch leben. Wenn es gelingt, die Geburtenraten zu beherrschen, dann ist die Erde der ideale Platz zum Leben. Allerdings muss man dann auch die alten Losungen aufgeben. Je mehr wir die Erde ausbeuten, desto schlimmer wird es doch. In Verhaltensweisen oder Ideologien wie „Kauft, Leute, kauft, auch wenn ihr es wegschmeißt“ liegt doch der Ursprung solcher Gedanken, dass wir die Erde irgendwann irgendwohin hin in das All verlassen müssen.
Da sind doch die Ideen vom Terraforming auf dem Mars, um ihn lebensfreundlicher zu machen. Die Menschen sollen Habitate errichten und von dort aus beginnen, die Umgebung zu verändern. Sicherlich lässt sich die Gravitation nicht ändern. Aber es geht hier doch um die Herstellung von begrenzten Regionen, in denen Menschen leben können.
Ich habe da früher auch von solchen Ideen gelesen und in diese Richtung gedacht. Heute sage ich mir: Die Menschen sind ein Produkt der Evolution auf der Erde. Die Erde ist ihr natürlicher Lebensraum. Das schließt nicht aus, dass Menschen andere Planeten besuchen und vielleicht im Interesse der Erde auf ihnen tätig werden.
Was heißt es denn, humanistisch zu leben?
Sich nicht gegenseitig umzubringen, sondern friedlich miteinander zu leben. Das meine ich, wenn ich davon rede, dass Menschen humanistischer miteinander leben sollten.
Zwei Missionscrews auf Saljut-6 feiern "kosmische Hochzeit": Sandmännchen und Mascha geben sich in der Schwerelosigkeit das Jawort. | Foto: Archiv Kowalski
Glauben Sie eigentlich an außerirdisches Leben?
Nun, man weiß ja noch nicht 100-prozentig, wo die ersten Lebensformen herkamen. Es kann durchaus sein, dass Keime aus dem Weltraum auf die Erde gekommen sind. Unsere Erde als einzigen Planeten zu sehen, an dem Leben existiert, das wäre aus meiner Sicht schon etwas vermessen. Wenn es Millionen von Sternensystemen gibt, kann man es durchaus für möglich halten, dass es noch irgendwo Leben in irgend einer Form gibt. Die Frage ist, was das nutzt, wenn es sich bei den Entfernungen womöglich um Lichtjahre handelt.
Und was halten Sie vom SETI-Projekt, der Suche nach außerirdischer Intelligenz?
Ich halte nicht viel davon. Selbst wenn es sie gäbe und es gelänge, einen Kontakt aufzunehmen, bleibt der Faktor der Entfernungen und technischen Möglichkeiten. Auch die Lichtgeschwindigkeit ist mit ihren 300.000 Kilometern pro Sekunde endlich und über die Reise zwischen den Sternen müssen wir uns heute keinen Kopf zerbrechen. Da haben wir doch ganz andere Probleme.
Sind wir nicht darauf angewiesen, uns hier eine bestimmte Utopie zu bewahren?
Klar muss es Ziele geben. Wenn es nach mir geht, dann wäre so eine Utopie ganz irdisch: Statt uns Gedanken darüber zu machen, ob wir im Extremfall auswandern, sollten wir überlegen, wie wir die Erde lebensfähig erhalten. Ich habe das natürlich früher auch anders gesehen, inspiriert von den großen Raumfahrtheoretikern wie Konstantin Ziolkowski oder Hermann Oberth. Ziolkowski ist für mich die Hälfte Wissenschaftler und die Hälfte Träumer. Seine Aussage „Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber man kann nicht ewig in der Wiege liegen“, klingt zunächst logisch. Auch ich habe das einmal so gesehen. Heute glaube ich aber, diese Aussage muss ja gar nicht stimmen.
Sie haben die Erde vorhin einen idealen Platz zum Leben genannt. Welche Orte auf der Erde sind denn für Sie am schönsten?
Auf jeden Fall im Vogtland, wo meine Heimat ist und ich die Kindheit verbracht habe. Das ist mir besonders nahe. Wir haben die Möglichkeit regelmäßig die alte Heimat zu besuchen. Am schönsten ist es auch da, wo wir unsere Freunde haben, wo unsere Kinder und Enkel sind.
Vermissen Sie den Weltraum? Würden Sie noch einmal in eine Kapsel einsteigen?
(lacht) Ich würde einsteigen – und das kann ich natürlich ganz kühn behaupten, weil sowieso keine reelle Chance dahinter steht.
Vorhin sprachen wir über Helden. Sie sind ein Vorbild gewesen für viele junge Menschen, sicher wurden sie auch ein Stück dazu gemacht. Welche Menschen sind oder waren denn für Sie Helden?
Naja, was ein Held ist, das ist eine subjektive Frage. Ich habe mich nie als Held gefühlt, auch wenn ich entsprechende Auszeichnungen in der DDR und Sowjetunion erhalten habe.
Was ist mit Vorbildern?
Natürlich, da gab es schon ein paar. Ich denke an die 30er Jahre, wo Flieger unter schwierigsten Bedingungen die Mitglieder von Expeditionen von einer Eisscholle geholt haben. Oder an Menschen, die im Krieg andere Menschen gerettet haben, anstatt sich gegenseitig totzuschießen. Ich glaube, die meisten Männer und Frauen, die ich als Helden oder Vorbilder betrachten könnte, sind ganz normale Menschen.
Und was füllt heute noch Ihren Tag?
Ach, ich weiß gar nicht, was ich falsch mache. Es ist nun 35 Jahre her, das ich da oben gewesen bin, und trotzdem sitze ich jeden Tag bis Mittag und beantworte Telefonanfragen, Briefe oder schreibe andere Texte. Oft kommen auch Briefmarkensammler. Jetzt muss ich noch ein kleines Vorwort schreiben, gestern war gerade wieder das Fernsehen da. Bloß eigentlich habe ich dazu immer weniger Lust. (lacht)
Die Bundestagswahlen liegen vor uns. Werden Sie am 22. September wählen gehen?
(lacht) Ja, danach hat mich schon einmal die MOZ (Märkische Oderzeitung, Anm. d. Red.) befragt. Da habe ich gesagt: Wenn wir nicht wählen gingen, würden wir dazu beitragen, dass solche Leute in Positionen kommen, wo wir sie nicht sehen wollen. Also sollte man wählen gehen.
Herr Jähn, herzlichen Dank für Ihre Zeit!