Foto: Alessandro Squassoni/Pixabay
Mit dieser Auffassung ist man – noch – in der Minderheit, insofern besteht eine Erklärungsbedürftigkeit. Man könnte aber auch eine andere Perspektive einnehmen und fragen: Warum ernährt man sich mit Fleisch, handelt es sich doch beim in Deutschland durchschnittlich hohen Konsum um eine ungesunde Ernährungsweise? Warum ernährt man sich mit Fleisch, trägt doch insbesondere die Massentierhaltung mit zur Umweltkrise bei? Warum ernährt man sich mit Fleisch, werden dadurch doch unnötig viele Ressourcen im unterschiedlichsten Sinne verschwendet? Oder: Warum ernährt man sich mit Fleisch, besteht doch eine Grundlage dafür im Leiden und Sterben von empfindungsfähigen Lebewesen? Es geht demnach hier auch um das Tierwohl. Fleischfreie Ernährung dient aber ebenso dem Menschenwohl.
Es gibt unterschiedliche Gründe, viele beginnen mit dem Buchstaben G: Dazu gehört Gewohnheit, weil der Fleischkonsum alltagskulturell in der Gesellschaft verankert ist und nicht hinterfragt wird. Dazu gehört Geschmack, da nach einem subjektiven Empfinden hiermit persönliches Wohlbefinden verbunden ist. Dazu gehört Geschichte, da die evolutionäre Entwicklung des Menschen angeblich durch den Fleischkonsum befördert wurde, was aber heute für unsere Existenz nicht mehr relevant ist. Dazu gehört Gewalt, denn Menschen habe die Macht dazu, ein Tier um seines Fleisches willen zu töten.
Die Frage des Fleischkonsums steht zunächst für eine Doppelmoral des Menschen, der etwa das Lamm als „unheimlich süß“ empfindet, sich dessen Fleisch dann aber im Restaurant bestellt. Es gibt auch nach Umfragen eine breite Ablehnung der Massentierhaltung, trotzdem kaufen nahezu ebenso viele Menschen einschlägige Produkte im Supermarkt. Bemerkenswert ist, dass viele zufällige Gesprächspartner zum Thema immer schnell sagen: „Wir essen ja auch wenig Fleisch“. Wäre dem in der Gesellschaft tatsächlich so, würde auch der Fleischkonsum stark sinken, was nur ansatzweise der Fall ist. Gleichwohl steht diese Reaktion für ein schlechtes Gewissen, dürften doch auch dem Fleischkonsumenten die schrecklichen Lebensbedingungen sogenannter Nutztiere zumindest allgemein nicht unbekannt sein.
Hier klaffen Einstellungen und Handlungen auseinander, das gilt auch für andere gesellschaftliche Fragen wie den Klima- oder Umweltschutz. Ganz allgemein bedarf es von daher einem stärkeren Einklang von Denken und Handeln.
Zunächst findet beim Konsumenten wie in der Werbung eine Verdrängung der gemeinten Zustände statt. Wenn etwa Metzgereien mit einem glücklich lächelnden Schwein als Logo für ihre Produkte werben, dann steht dies für eine derartige Ignoranz oder Schönschreibung. Sie erleichtert den Kauf solcher Produkte. Dies gilt noch mehr für den Supermarkt, wo Fleisch in Plastik verpackt zu bekommen ist. Das vorherige Leiden und Sterben der Tiere fällt so aus der Wahrnehmung heraus. Aber zur Frage noch zwei weitere Anmerkungen: Biofleisch bedeutet nicht notwendigerweise, dass es den Tieren besser ging. Sie mögen ein wenig mehr Auslauf oder Platz gehabt haben, wurden aber gleichwohl wegen ihres Fleisches getötet. Und auch Ärmere sollten gerade auf Billigfleisch verzichten, denn für ihre Gesundheit dürfte dessen Konsum nicht sonderlich förderlich sein. Es gibt mittlerweile gesündere und günstigere vegetarische Alternativen, wofür das Bewusstsein und Wissen erhöht werden könnte.
Infobox: Fleisch und Klima
Pro Kopf werden in Deutschland jährlich 60 Kilogramm Fleisch verzehrt. 98 Prozent davon stammen aus Massentierhaltung: 763 Millionen Tiere. Hinter einem Kilo Fleisch verbergen sich bis zu 15.000 Liter Wasser – ein Kilo Kartoffeln braucht 210 Liter Wasser. Rund drei Viertel aller Agrarflächen werden für die Tierfütterung beansprucht. Dafür werden Millionen Hektar Regenwälder gerodet, Böden werden durch Pestizide belastet. Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch verursacht bis zu 28 Kilo Treibhausgase. Obst oder Gemüse liegen bei weniger als einem Kilo. Würde der Fleischkonsum in Deutschland auf die Hälfte sinken, könnten 13,3 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
Ja, aber zunächst zum Kern meiner Position: Der Mensch muss nicht Fleisch konsumieren, um zu überleben. Der Löwe muss Fleisch eines anderen Tieres konsumieren, um zu überleben. Der Mensch kann entscheiden, der Löwe nicht. Mit dem Gewohnheitsargument stellt der Mensch sich beim Fleischkonsum somit in dieser Frage auf das ethische Niveau des Löwen. Dies mag gestreng klingen, ist aber nicht falsch. Aber zurück zu Ihrem Ausgangspunkt: Fleischkonsum in größerem Ausmaß ist heute meist nur noch dann akzeptabel, wenn dessen Voraussetzungen nicht thematisiert werden. Dies meine ich mit der Formulierung „Vorgeschichte des Schnitzels“, welche den Titel von manchen meiner Aufsätze oder Vorträge bildete. Von Paul McCartney, dem Ex-Beatle und Vegetarier, ist der Satz überliefert: „Wären Schlachthäuser aus Glas, wären alle Vegetarier“. Fleischkonsum kann heute meist nur noch eine Gewohnheit sein, wenn man die Bedingungen dafür in Form der Tiertötungen ignoriert. Daher ist eine solche Realitätsverweigerung auch ein Problem.
Das kommt immer darauf an, inwieweit man sich als Humanist versteht. Gilt als Kriterium, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen soll, können Natur und Tiere als nicht relevante Themen gelten. Indessen zeugt diese Auffassung von einer falschen Wirklichkeitswahrnehmung, denn der Mensch ist eben nun mal Teil der Natur. Die Natur braucht den Menschen nicht, der Mensch die Natur aber sehr wohl. Insofern liegt es im Eigeninteresse des Menschen, sich auch für Naturschutz einzusetzen. Bezogen auf die Einstellung zu Tieren geht es dann um eine ethische Positionierung. Es stellt sich bei jedem Einkauf die Frage: Kaufe ich mir Nahrungsmittel, welche den Tod von Lebewesen voraussetzen oder nicht? Die Antwort in der Praxis hat auch etwas mit einer ethischen Verortung zu tun. Indessen gilt grundsätzlich: Ein Fleischkonsument muss kein schlechter, ein Vegetarier oder Veganer kein guter Mensch sein. Es geht hier um eine Detailfrage, die gleichwohl fern von Tierromantik von Bedeutung ist. Dafür sprechen außerdem politische, soziale, ökologische und wirtschaftliche Gründe, die alle einen Humanisten interessieren sollten. Seine Einstellungen und Handlungen machen seinen Standpunkt auch bei diesem Thema aus. Insofern mag sich hier jeder einer kritischen Selbstprüfung aussetzen.
Das Interview führte Lydia Skrabania.
Foto: Armin Pfahl-Traughber (privat)
Zur Person
Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-Traughber (*1963) ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Soziologe, u. a. mit den Forschungsschwerpunkten politischer Extremismus, Terrorismus und Antisemitismus. Pfahl-Traughber ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und gibt ebendort das „Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung“ heraus. Darüber hinaus kritisiert er seit Jahren die Folgen von Fleischkonsum und wirbt für eine neue Tierethik.